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Interview: Karl Rahner~Pierre Teilhard de Chardin – Die Christologie

Starflower

Orelie: Guten Tag, Herr Pierre Teilhard de Chardin und Herr Karl Rahner. Ich freue mich, dass Sie zu diesem Gespräch gekommen sind, in dem wir Überlegungen zur Christologie nachgehen werden. Sie Herr Teilhard de Chardin sind Wissenschaftler und in der Wisssenschaft des 20. Jahrhunderts ist Jesus Christus nicht mehr anwesend. Was können Sie hierzu sagen?

Pierre Teilhard de Chardin: Nach zwanzig Jahrhunderten haben sich so viele Anschauungen geändert, dass wir religiös in eine andere Haut schlüpfen müssen. Um weiter zu leben, müssen wir uns häuten. Als Christ habe ich nicht das Recht zu der Annahme, dass das Christentum in dieser Zeit des Übergangs, in die wir eintreten, verschwinden könne. Ich halte es für unsterblich. Doch diese Unsterblichkeit unseres Glaubens entbindet ihn nicht davon, dass er, und zwar indem er sie überwindet, den allgemeinen Gesetzen der Periodizität unterworfen ist, die alles beherrschen. Heute hat also, das erkenne ich, das Christentum die Grenze eines natürlichen Zyklus seiner Existenz erreicht.

Pierre Teilhard de Chardin, Mein Glaube, Walter-Verlag, Olten und Freiburg im Breisgau, 1982, S.114-115

Orelie: Herr Karl Rahner, was wollen Sie zur Geschichte der Christologie sagen?

Karl Rahner: Man kann nicht sagen, dass die Geschichte der Christologie, die es zweifellos gegeben hat, heute einfach am Ende sei. Muss diese Geschichte aber weitergehen, dann müssen neue Formulierungsversuche versucht werden. Und diese müssen gewiss an der Schrift, an den Definitionen der Konzilien, am Glaubensverständnis der Kirche überhaupt gemessen und geprüft werden. Aber sie müssen sich auch fragen lassen, ob sie wirklich für das Glaubensverständnis eines Menschen von heute mit seinem Verstehenshorizont dienlich sind.

Karl Rahner, Was heißt Jesus lieben?, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, 1982, S.50

Orelie: Sie, Herr Theilhard versuchen Ihren Glauben mit der Evolution in Einklang zu bringen. Für Sie ist die Schöpfung nicht abgeschlossen, sondern evolutiv und geht auf den sogenannten Punkt Omega zu. Wie sehen Sie hierbei Jesus Christus?

Teilhard de Chardin: Nach fast 2000 Jahren muss Christus wiedergeboren werden, muss er sich reinkarnieren in eine Welt, die allzusehr von der verschieden geworden ist, in der er gelebt hat. Jesus vermag nicht greifbar wieder unter uns neu erscheinen. Doch kann er unserem Geist einen triumphierenden und neuen Aspekt seines alten Antlitzes bekunden. Der Messias, den wir unzweifelhaft alle erwarten, ist, glaube ich, der Christus Universalis, das heißt der Christus der Evolution.

Mein Glaube, S.115

Orelie: Herr Karl Rahner, was möchten Sie hierauf sagen?

Karl Rahner: Die alte Christologie bleibt unsere Christologie, aber wir haben das Recht und die Pflicht, sie immer wieder neu zu durchdenken, zu versuchen, dort, wo wir Verständnisschwierigkeiten haben, das eigentlich Gemeinte vielleicht anders zu sagen, von anderen Aspekten her zu bedenken. Man könnte vielleicht das, was eigentlich gegeben ist, mit einer evolutiven Weltanschauung im Stil von Teilhard de Chardin neu formulieren, Christus Jesus als der schon in der Welt und in ihrer Entwicklung wirksame Punkt Omega der Weltentwicklung sehen.

Was heißt Jesus lieben?, S.54

Orelie: Sie sagten, die alte Christologie bleibt unsere Christologie, was wollen Sie damit sagen?

Karl Rahner: Wenn ich wirklich davon überzeugt bin, dass in Jesus mir Gott sich selber zugesagt hat, dann habe ich eigentlich eben in dieser schlichten und einfachen Weise die ganze Christologie schon umfasst und erfasst. Eben dieses schlichte Verständnis kann und muss im Glaubensbewusstsein der Kirche reflektiert, entfaltet, in anderen Formulierungen deutlich gemacht werden. Es wäre gut, wenn die Kirche gerade in der Treue zu ihrem alten Dogma mutiger neu zu sagen versuchen würde, was damit eigentlich gemeint ist.

Was heißt Jesus lieben, S.52-53

Orelie: Ich danke Ihnen beiden für dieses Gespräch.