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Interview: Thomas Mann – Die Buddenbrooks

Orelie: Guten Tag, Herr Thomas Mann. Sie sind ein bedeutender deutscher Schriftsteller und erhielten 1929 den Nobelpreis für Literatur. Ich danke Ihnen, dass Sie zu diesem Gespräch gekommen sind, in dem wir über Ihren ersten Roman Die Buddenbrooks:Verfall einer Familie sprechen wollen, der zu Ihrem Erhalt des Nobelpreises beitrug. Der Roman beginnt mit dem Jahr 1835. Das Familienoberhaupt Johannes Buddenbrook besitzt eine Getreidegroßhandlung. Seine erste Frau, die er zärtlich geliebt hat, ist im Kindbett gestorben und er macht seither seinen gesund geborenen Sohn Gotthold für ihren Tod verantwortlich.

Thomas Mann: Johann Buddenbrook schien dieses neue Wesen ehrlich und bitterlich gehasst zu haben, von dem Augenblick an, wo seine ersten kecken Regungen der Mutter grässliche Schmerzen bereitet hatten, – gehasst zu haben, bis er gesund und lebhaft zur Welt kam, während Josephine, den blutleeren Kopf in die Kissen gewühlt, verschied, – und niemals diesem skrupellosen Eindringling, der kräftig und sorglos heranwuchs, den Mord der Mutter verziehen zu haben.

Thomas Mann, Die Buddenbrooks:Verfall einer Familie, Fischer Klassiker, Kindle, Amazon, S.29

Orelie: Sein Sohn Gotthold ehelicht ebenfalls eine Frau, die er liebt. Aber sein Vater missbilligt diese nicht standesgemäße Heirat, da sie keine Firma, sondern nur einen Laden besitzt und verstößt seinen Sohn mit einer Abfindung. Er selbst ist in zweiter Ehe mit Antoinette Duchamps verheiratet, die Madame Antoinette genannt wird und aus einer reichen, sehr angesehenen Hamburger Familie kommt. Die beiden haben eine Tochter und einen Sohn namens Jean, der als Geschäftsteilhaber seines Vaters für die Firma arbeitet. Er heiratet Elisabeth Kröger, die Bethsy genannt wird, und seine Frau bringt eine sehr hohe Mitgift in die Ehe ein. Noch dazu ist Jean Konsul geworden und was sagt dieser von seinem Vater gelobte Sohn in einem Gespräch mit seiner Mutter über die Heirat seines Stiefbruders Gotthold?

Thomas Mann: Es soll nicht aussehen, als ob ich, der Stiefbruder, mich bei den Eltern eingenistet hätte und gegen Gotthold intriguierte. Und dann bezahlen Bethsy und ich vorläufig eine ganz normale Miete für den zweiten Stock. Es ist seine Schuld, dies traurige Verhältnis! Urteilen Sie selbst! Warum konnte er nicht vernünftig sein! Warum musste er diese Demoiselle Stüwing heiraten und den … Laden. Es ist eine Schwäche, Vaters Widerwille gegen den Laden; aber Gotthold hätte diese kleine Eitelkeit respektieren müssen.

Ibid, S.8

Orelie: Johann Buddenbrook und sein Sohn Jean setzen sich beide mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln für den Erhalt der Firma ein. Aber in ihrem jeweiligen Charakter sind Unterschiede festzustellen, was in einem Gespräch der beiden über ihre Haltung zur Natur zum Ausdruck kommt. Können Sie dieses Gespräch wiedergeben?

Thomas Mann: „Es ist eine Schande, dieser Urwald! Welch nett Besitztum, wenn das Gras gepflegt, die Bäume hübsch kegel- und würfelförmig beschnitten wären.” Der Konsul protestierte mit Eifer. „Ich ergehe mich Sommers dort gern im Gestrüpp; aber alles wäre mir verdorben, wenn die schöne, freie Natur so kläglich zusammengeschnitten wäre.” „Aber wenn die freie Natur doch mir gehört, habe ich da zum Kuckuck nicht das Recht, sie nach meinem Belieben herzurichten.” „Ach Vater, wenn ich dort im hohen Grase unter dem wuchernden Gebüsch liege, ist es mir eher, als gehörte ich der Natur und als hätte ich nicht das mindeste Recht über sie.”

Ibid., S.154

Orelie: Im Jahr 1841 stirbt Madame Antoinette und ihr Mann setzt ihren gemeinsamen Sohn Jean als alleinigen Inhaber der Firma ein. Der Firmengründer Johann stirbt einige Jahre später. Jean und seine Frau Elisabeth bekommen vier Kinder: Thomas, Antonie, die Tony genannt wird, Christian und Clara. Tony heiratet aus Standesgründen einen Herrn Grünlich, obwohl dessen Äußeres sie abschreckt und sie sich in einen anderen Mann, der ihr gefällt, verliebt hat. Herr Grünlich und sie bekommen eine Tochter, die sie Erika nennen. Aber der einst hoch angesehene Herr Grünlich entlarvt sich als Betrüger und es kommt zur Scheidung. Daraufhin wird Tony Frau Permaneder. Aber ihr Mann, mit dem sie nach München zieht, ist nur auf ihre Mitgift aus. Ihr zweites Kind, ein Mädchen, stirbt kurz nach seiner Geburt. Nachdem ihr Mann sich in betrunkenem Zustand an der Köchin Babette vergreift, will Tony wieder die Scheidung einreichen, was sie ihrem Bruder Thomas, der Senator geworden ist, zu verstehen gibt.

Thomas Mann: „Du meinst, dass er sich widersetzen wird und zwar wegen meiner 17000 Thaler Courant; aber Grünlich hat auch nicht gewollt, und man hat ihn gezwungen. Gewiss, es war etwas Anderes. Damals war es „Unfähigkeit des Mannes, seine Familie zu ernähren”! Das ändert nichts an meinen Entschlüssen. Wie? Ist nur das Schande und Skandal im Leben, was laut wird und unter die Leute kommt? Ach nein! Der heimliche Skandal, der im Stillen an Einem zehrt und die Selbstachtung wegfrisst, der ist viel schlimmer! Sind wir Buddenbrooks Leute, die nach außen hin „tip-top” sein wollen, wie ihr hier immer sagt, und zwischen unseren vier Wänden dafür Demütigungen hinunterwürgen? Stelle dir Vater vor, wie er sich heute verhalten würde und dann urteile in seinem Sinne!”

Ibid., S.231-232

Orelie: Ihr gemeinsamer Vater Jean ist im Jahr 1855 unerwartet gestorben. Er wusste, genauso wie sein Sohn Thomas, dass Tony viel Standesdünkel besitzt. So wirft Thomas seiner Schwester vor, sich nie an die Münchner Gesellschaft angepasst zu haben. Es kommt dennoch zur Scheidung. Thomas weiß, dass er seit dem Tod seines Vaters allein für den Erhalt der Firma verantwortlich ist. Von seinem Bruder Christian kann er keine Hilfe erwarten. Warum?

Thomas Mann: Um seine Geschäfte stand es jammervoll, und obgleich er beständig einer Reihe von Beschwerden unterlag, schien er sich, im Restaurant, im Zirkus, im Theater, doch königlich zu amüsieren, und, den Schulden nach zu urteilen, die jetzt zu Tage kamen, und die er auf seinen gut klingenden Namen hin hatte machen können, weit über seine Verhältnisse zu leben. Man wusste es, wer vor allem schuld daran war. Es war eine weibliche Person, eine alleinstehende Dame, die Aline Puvogel hieß und zwei hübsche Kinder besaß. Von den Hamburger Kaufherren stand nicht Christian Buddenbrook allein zu ihr in engen und kostspieligen Beziehungen.

Ibid., S.236

Orelie: Thomas und seine Frau Gerda bekommen einen Sohn namens Hanno, der einmal die Firma übernehmen soll. Dennoch macht sein Vater sich seine Gedanken darüber.

Thomas Mann: Hätte Senator Buddenbrook zwei Söhne besessen, so hätte er den Jüngeren ohne Frage das Gymnasium absolvieren und studieren lassen. Aber die Firma verlangte einen Erben, und abgesehen hiervon glaubte er, dem Kleinen eine Wohltat zu erweisen, wenn er ihn der unnötigen Mühen mit dem Griechischen erhob. Er war der Meinung, dass das Realpensum leichter zu bewältigen sei, und dass Hanno, mit seiner oft schwerfälligen Auffassung, seiner träumerischen Unaufmerksamkeit und seiner körperlichen Zartheit, die ihn allzu oft nötigte, die Schule zu versäumen, in den Realklassen ohne Überanstrengung schneller und ehrenvoller vorwärts kommen werde.

Ibid., S.374

Orelie: Senator Thomas Buddenbrook wird sich gewahr, dass sein Sohn Hanno als Nachfolger der Firma, die viele Krisen durchmachen muss, kaum geeignet ist und er selbst verliert mehr und mehr an Mut und an Kraft. Nach einem Zahnarztbesuch, bei dem ihm ein Zahn gezogen wird, schwindelt ihm und er stürzt mit dem Gesicht auf das Straßenpflaster. Einige Tage später stirbt der Senator. Aber was hat er zuvor noch beschlossen?

Thomas Mann: Die Dinge lagen so, dass liquidiert werden, dass die Firma verschwinden sollte und zwar binnen eines Jahres; dies war des Senators letztwillige Bestimmung. Frau Permaneder zeigte sich heftig bewegt hierüber. Die Tatsache, dass ihr Bruder über seinen Sohn und einzigen Erben hinweggegangen war, dass er für ihn nicht hatte die Firma am Leben erhalten wollen, enttäuschte und schmerzte sie sehr. Manche Stunde weinte sie darüber, dass man sich des ehrwürdigen Firmenschildes, dieses durch vier Generationen überlieferten Kleinods entäußern, dass man seine Geschichte abschließen sollte, während doch ein natürlicher Erbfolger vorhanden war. Aber dann tröstete sie sich damit, dass das Ende der Firma ja nicht geradezu dasjenige der Familie sei, und dass ihr Neffe eben ein junges und neues Werk werde beginnen müssen, um seinem hohen Berufe nachzukommen, der ja darin bestand, dem Namen seiner Väter Glanz und Klang zu erhalten und die Familie zu neuer Blüte zu bringen. Nicht umsonst besaß er soviel Ähnlichkeit mit seinem Urgroßvater.
Ibid., S.421

Orelie: Hannos Begabung ist künstlerischer Natur und genauer gesagt besitzt er eine musikalische Begabung. So ist er bei einer Lohengrin Aufführung, die er mit seiner Mutter besucht, vollkommen hingerissen.

Thomas Mann: Und dann war das Glück zur Wirklichkeit geworden. Es war über ihn gekommen mit seinen Weihen und Entzückungen, seinem heimlichen Erschauern und Erbeben, seinem plötzlichen innerlichen Schluchzen, seinem ganzen überschwänglichen und unersättlichen Rausche. Freilich die billigen Geigen des Orchesters hatten beim Vorspiel ein wenig versagt, und ein dicker, eingebildeter Mensch mit brotblondem Vollbarte war im Nachen ein wenig ruckweise herangeschwommen. Auch war in der Nachbarloge sein Vormund Herr Stephan Kistenmaker zugegen gewesen und hatte gemurrt, dass man den Jungen auf solche Weise zerstreue und von seinen Pflichten ablenke. Aber darüber hatte ihn die süße und verklärte Herrlichkeit, auf die er lauschte, hinweggehoben.

Ibid., S.424

Orelie: Kommen wir auf Christian zu sprechen, der nach dem Tod seines Bruders nicht einmal ein Jahr wartet, um Aline Puvogel zu heiraten. Doch wie gestaltet sich seine Ehe?

Thomas Mann: Über Christian lagen betrübende Nachrichten vor. Die Ehe schien sein Befinden nicht günstig beeinflusst zu haben. Unheimliche Wahnideen und Zwangsvorstellungen hatten sich bei ihm in verstärktem Maße wiederholt, und auf Veranlassung seiner Gattin und eines Arztes hatte er sich nunmehr in eine Anstalt begeben. Er war nicht gern dort, schrieb lamentierende Briefe an die Seinen und gab dem heftigen Wunsche Ausdruck, aus dieser Anstalt, in der man ihn sehr streng zu behandeln schien, wieder befreit zu werden. Aber man hielt ihn fest, und das war wohl das Beste für ihn. Jedenfalls setzte es seine Gemahlin in den Stand, unbeschadet der praktischen und ideellen Vorteile, die sie der Heirat verdankte, ihr früheres unabhängiges Leben ohne Rücksicht und Behinderung fortzuführen.

Ibid., S.423-424

Orelie: Hanno Buddenbrook stirbt an Typhus und seine Mutter Gerda wird zu ihrem Vater, der in Amsterdam wohnt, zurückkehren. Wie beurteilt ihre Schwägerin diese Entscheidung?”

Thomas Mann: Frau Permaneder hatte diesem Entschlusse nichts mehr entgegenzuhalten. Sie ergab sich darein, aber in ihrem Inneren war sie tief unglücklich darüber. Wäre die Witwe des Senators in der Stadt verblieben, hätte sie sich Platz und Rang in der Gesellschaft gewahrt, und ihr Vermögen am Platze gelassen, so wäre dem Namen der Familie doch ein wenig Prestige erhalten geblieben. Mochte dem nun wie immer sein, Frau Antonie war gewillt, den Kopf hoch zu tragen, solange sie über der Erde weilte und Menschen auf sie blickten. Ihr Großvater war vierspännig über Land gefahren.
Ibid., S.458

Orelie: In der Tat will Frau Permaneder, die Tochter von Jean Buddenbrook, alles tun, um die Familie dennoch zusammenzuhalten und ihre Tradition zu pflegen.

Thomas Mann: Dann kam Frau Permaneder auf das Leben zu sprechen, nahm es von seiner wichtigsten Seite und stellte Betrachtungen an über Vergangenheit und Zukunft, obgleich über die Zukunft fast gar nichts zu sagen war. „Ja, wenn ich tot bin, kann Erika meinetwegen auch davonziehen”, sagte sie, „aber ich halte es sonst nirgends aus, und solange ich am Leben bin, wollen wir hier zusammenhalten, wir paar Leute, die wir übrig bleiben. Einmal in der Woche kommt ihr zu mir zum Essen. Und dann lesen wir in den Familienpapieren. Sie berührte die Mappe, die vor ihr lag.”

Ibid., S.458-459

Orelie: Und sie denkt auch voller Wehmut an ihren Neffen Hanno.

Thomas Mann: „Ich habe ihn so geliebt”, schluchzte sie. „Ihr wisst nicht, wie sehr ich ihn geliebt habe… mehr als ihr Alle…ja, verzeih Gerda, du bist die Mutter. Ach, er war ein Engel.”

Ibid., S.459

Orelie: Herr Thomas Mann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.