Orelie: Ich begrüße Sie herzlich Herr John Steinbeck, und ich möchte mich mit Ihnen über Ihren ersten erfolgreichen Roman Tortilla Flat unterhalten. Er handelt von der Freundschaft unter Paisanos. Danny, der nach dem Krieg nach Monterey zurückgekommen ist, erbt zwei Häuser und zögert nicht, in dem einen seinen Freund Pilon wohnen zu lassen, ohne einen Mietpreis festzusetzen.
John Steinbeck: Unmöglich zu sagen, ob Danny wirklich einen Mietzins erwartete, oder ob Pilon vorhatte, welchen zu bezahlen. Wenn ja, so erlebten beide eine Enttäuschung. Danny fragte nie danach, und ebensowenig rührte Pilon daran. Der arme Pilon hätte gern bezahlt, wäre er je im Besitz von Geld gewesen, was aber nie der Fall war, oder jedenfalls nie lange genug, um damit den Weg bis zu Danny zu finden. Pilon war eine ehrliche Haut. Es betrübte ihn bisweilen, an Dannys Gutherzigkeit und seine eigene Armut zu denken.
John Steinbeck, Tortilla Flat, Ullstein Verlag, Frankfurt/M, Berlin, Wien, 1970, S.20
Orelie: Deswegen ist Pilon überglücklich, als sein Freund Pablo sich einverstanden erklärt, in einem Teil des Hauses zu wohnen, denn er könnte die dafür erhaltene Miete seinem Freund Danny geben oder hätte zumindest eine Entschuldigung.
John Steinbeck: Ein Seufzer der Erleichterung entwand sich Pilons Brust. Er hatte nicht gewusst, wie schwer die Schuld an Danny ihn bedrückt hatte. Der Umstand, dass er ziemlich sicher war, Pablo würde den Mietzins nie bezahlen, verringerte seine Genugtuung nicht. Sollte Danny je das Geld verlangen, könnte Pilon fortan sagen: „Ich werde bezahlen, sobald Pablo gezahlt hat.”
Tortilla Flat, S.26
Orelie: Danny und seine Freunde sind keine Betrüger, auch wenn es manchmal den Anschein hat. So haben sie dem Wirt und Alkoholschmuggler Torrelli einen Staubsauger ohne Motor verkauft.
John Steinbeck: Pilon sah entsetzt drein. „Ich wusste nicht, dass der Apparat einen Defekt hatte”,sagte er. „Aber habe ich nicht gesagt, Torrelli habe verdient, was ihm passiert ist. Der Apparat war drei oder vier Gallonen wert, und dieser elende Torrelli wollte mir nicht mehr als zwei dafür geben.” Sie alle fühlten sich jetzt ein bisschen an Torrelli gerächt. „Ich denke”, beschloss Danny das Gespräch, „wir werden künftig unseren Wein woanders kaufen, wenn Torrelli nicht einlenkt.”
Tortilla Flat, S.101
Orelie: Danny und seine Freunde haben das Herz am rechten Fleck. Sie bewahren die Vierteldollarstücke des Piraten so lange auf, bis er genug von ihnen hat, um für den heiligen Franziskus einen goldenen Leuchter zu kaufen, wie er es gelobt hat. Sie stehlen Hundertpfundsäcke mit Bohnen, damit Teresinas Kinder nicht verhungern. Wie beurteilen Danny und seine Freunde ihre Mitmenschen?
John Steinbeck: Sie hielten Gericht über ihre Mitmenschen – nicht nach moralischen Gesichtspunkten urteilend, sondern aus Interesse an ihnen.
Tortilla Flat, S.140
Orelie: Aber eines Tags sehnt sich Danny nach seinem früheren Leben zurück. Was fehlt ihm in seinem Leben mit seinen Freunden?
John Steinbeck: Mit der Zeit begann er, wenn er sich in der Veranda des Häuschens sonnte, von den Tagen seiner Freiheit zu träumen. Zur Sommerzeit hatte er im Wald geschlafen und in der Winterkälte in warmen Heuschuppen. Es ging ihm durch den Sinn, wie der Name Danny Sturm bedeutet hatte. Oh, diese Kämpfe! Die Flucht durch den Wald mit einem erschreckten Huhn unter dem Arm! Die Verstecke in der Schlucht, wenn ein empörter Gatte Fehde ansagte! Sturm und Gewalttat, herrliche Zeit der Kraft und Fülle! Wenn Danny an die alten Zeiten dachte, kam ihm in Erinnerung, wie köstlich die gestohlene Nahrung geschmeckt, und er ersehnte die Tage von einst zurück. Seit sein Erbteil ihn sozial gehoben, hatte er nicht viele Raufereien gehabt. Wohl war er betrunken gewesen, aber es hatte ihn nicht in Abenteuer geführt; immer lastete das Gewicht des Eigentums auf ihm, immer drückte ihn die Verantwortung für seine Freunde.”
Tortilla Flat, S.152
Orelie: Danny nimmt sein früheres Leben wieder auf, doch kehrt er nach einiger Zeit zu seinen Freunden zurück. Warum tut er das?
John Steinbeck: Als Danny von seiner wilden Fahrt in sein Haus und zu seinen Freunden zurückkam, schlug ihm nicht etwa das Gewissen, sondern er war nur todmüde.
Tortilla Flat, S.166
Orelie: Das will heißen, Danny ahnt seinen nahen Tod. Aber seine Freunde meinen, es fehle ihm an Alkohol, und sie bereiten ihm ein großartiges Fest, an dem sich ganz Tortilla Flat beteiligt. Für Danny ist es sein letztes Fest, und noch einmal bäumt er alle seine Kräfte auf, obwohl seine Gestalt sich schon verändert hat.
John Steinbeck: Dannys irdische Erscheinung, sagen die Leute von Tortilla Flat, veränderte sich zusehends. Sie wuchs zu unheimlicher Größe heran. Seine Augen funkelten wie die Vorderlichter eines Automobils. Es war etwas Fürchterliches an ihm. Dort stand er, in der Stube seines eigenen Hauses. In der rechten Hand hielt er ein Tischbein aus Kiefernholz, und selbst dieses schien gewachsen. Danny forderte die Welt heraus. „Wer kämpft mit mir?” schrie er. „Gibt es auf der Welt niemanden mehr, der sich nicht fürchtet?” „Niemand?” schrie Danny abermals. „Bin ich mutterseelenallein in der Welt? Nimmt es niemand mit mir auf?” „Dann werde ich den einen suchen, der zu kämpfen versteht. In der Ewigkeit werde ich den Kämpen finden, der Dannys würdig ist.” Er taumelte zur Tür. Die Leute machten erschreckt einen breiten Weg für ihn frei. Vor dem Hause hörten sie ihn weiter seine Herausforderung hinausbrüllen. Das Tischbein pfiff durch die Luft wie ein Meteor. Schließlich ließ sich hinter dem Hause von der Schlucht her ein so entsetzlicher und eisiger Gegenruf vernehmen, dass ihnen das Rückgrat zu schmelzen schien, wie die Brunnenkresse unter dem Frost dahinwelkt. Noch heute, wenn die Leute von Dannys letztem Kampfgegner sprechen, senken sie die Stimmen und blicken verstohlen um sich. Sie haben Dannys Schlachtruf gehört – seinen letzten, schrillen und trotzigen Aufschrei, und dann einen dumpfen Fall. Ihm folgte die große Stille.
Tortilla Flat, S.175-176
Orelie: Nach dieser umfassenden Beschreibung von Dannys Tod, bitte ich Sie, ein Urteil über den Tod abzugeben.
John Steinbeck: Der Tod ist etwas ganz Persönliches und erweckt, je nachdem, Trauer, Verzweiflung, glühende Empfindung oder philosophische Betrachtungen unberührter Herzen.
Tortilla Flat, S.179