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Interview: Hildegard Knef – Romy Schneider

Orelie: Guten Tag, Frau Hildegard Knef. Ich freue mich, dass Sie zu diesem Gespräch gekommen sind, in dem wir von Ihrer Freundin Romy Schneider sprechen wollen. Romy ist die Tochter des Schauspielerehepaares Magda Schneider und Wolf Albach-Retty, das sich scheiden ließ, als Romy acht Jahre alt war. Zwei Jahre später kommt Romy Schneider auf das von Nonnen geleitete Internat Goldenstern in der Nähe von Salzburg. Was können Sie über Romys dortigen Aufenthalt sagen?

Hildegard Knef: Kaum, dass sie Goldenstein, – ein Schloß aus dem 14. Jahrhundert mit engen Fenstern, düsteren Räumen und Gängen – betreten, wird sie von der Präfektin Theresa kargmildtätig begrüßt. Romys hitziger Trieb, Theater zu spielen, wird überraschenderweise während der jährlich fünf brav-keuschen Aufführungen des Internats anfänglich berücksichtigt, um später unbegreiflich verletzend übergangen zu werden. Einmal monatlich dürfen die Zöglinge ihre Familie besuchen. Romy bleibt zumeist ausgeschlossen, verbringt bedrückende Wochenenden im lautlosen Gemäuer der Klosterschule. Mama befindet sich entweder auf Tournee oder in Filmstudios. Für die selten gewordenen Theateraufführungen sendet Papa zuweilen Kostüme aus dem Burgtheaterfundus. Jubelnd nimmt sie die verstaubten Fetzen entgegen. Ihr Tagebuch nimmt bedenklich menschliche Züge an: sie tauft es >Peggy<, festverschlossene Vertraute, der sie unverblümt mitteilt, bloßlegt, beichtet. Sie schreibt mit ungelenker Kinderschrift von maßlosem Heimweh, träumt seitenlang von der berühmten Schauspielerin, die sie einmal werden will.

Hildegard Knef, Romy Schneider – Betrachtung eines Lebens, Moewig Verlag, hier benutzte: Kindle Edition, Edel Books – ein Verlag der Edel Verlagsgruppe, 23. August 2010, Kapitel 3

Orelie: Vier Jahre später entscheidet ihre Mutter, die den Gastwirt Herbert Blatzheim geheiratet hat, dass ihre Tochter das Internat verlassen soll, um zu ihr nach Köln zu ziehen. Dort erhält Romy Schneider eine Rolle an der Seite ihrer Mutter in dem Film Wenn der weiße Flieder wieder blüht. Wie erlebt sie diesen Umbruch in ihrem Leben?

Hildegard Knef: Bibel und Schulhefte werden übergangslos mit Drehbüchern vertauscht; die Schweigen abverlangenden Exerzitien mit dauerhaftem, an Bienenschwärme gemahnendem Nuscheln, Pochen, Schleppern eines Studios. Lampenfiebrig fällt Romy erst einmal in die Hände eines emsigen Maskenbildners, versinkt unter den prüfenden Blicken der Kostümberaterin und Garderobiere. Der Regisseur sitzt im Regiestuhl, raucht, blättert in einem Drehbuch, sieht auf, stellt Romy dem Kameramann vor. Die Nachricht, dass sie für den Film engagiert, lässt Mama wie auch Romy jubeln.

Ibid, Kapitel 4

Orelie: Mit sechzehn Jahren spielt Romy Schneider in dem ersten Sissi-Film, der im Dezember 1955 in Wien seine Premiere hat und kurz darauf auch im deutschen Kino zu sehen ist. Der Film ist ein Erfolg und der Regisseur Ernst Marischka dreht daraufhin einen zweiten Film, der die Liebesromanze der Kaiserin Elisabeth und ihres Gemahls Kaiser Franz Josef fortsetzt. Romy Schneider gelingt mit diesen Filmen der Durchbruch als Schauspielerin. Was wollen Sie hierzu sagen?

Hildegard Knef: War der erste Film pompös, so wird der zweite zum grandiosen Spektakel. Dank des gehabten Erfolges ist es den Produzenten möglich, den Kitsch auszuweiten, pelzverbrämte Pracht abzufotografieren, die an zusammengepappte Standfotos gemahnt. Wiederum ist Karlheinz Böhm >Kaiser Franz Josef<. Das Heimatfilm-Publikum identifiziert alsogleich Romy mit Sissi, verweist sie eilends in Nachkriegsdeutschlands jüngste Klatschblätter. Der Erfolg weitet sich zum Siegeszug aus, der durch Europas Lande eilt.

Ibid, Kapitel 4

Orelie: Romy Schneider dreht einen dritten Sissi-Film, in dem die Kaiserin an Tuberkulose erkrankt ist und ihr Arzt ihr anordnet, viele Reisen zu unternehmen, was sie auch tut. Sie gesundet und trifft ihren Kaisergemahl in Venedig. Warum kommt es zu keinem vierten Sissi-Film?

Hildegard Knef: Eine Million wird geschwenkt, um Romy zum vierten Mal >Sissi< sein zu lassen. Sie kann es sich leisten, abzulehnen, da bereits finanziell rundum gesichert, auch angewidert von der Vorstellung, >Sissi< bis zum Überdruß darzustellen. Sie sucht Wege, findet einen, als die Dreharbeiten zu Christine gegen den Protest der Mama begonnen. Der Weg ist gefahrvoll-bedrohlich und heißt: Alain Delon.

Ibid., Kapitel 5

Orelie: Können Sie das näher ausführen?

Hildegard Knef: Alain Delon bricht in ihr artiges, hektisch-behütetes Leben mit der ihm eigenen Lässigkeit, gepaart mit zügelloser Vehemenz. Delon ist von jener atemberaubenden Schönheit, pechschwarze Haare, dunkelblaue langbewimperte Augen, ein herbes ebenmäßiges Gesicht sind täuschende Attribute, hinter denen es gefahrvoll brodelt. Der Aufenthalt in Paris ist kurz. Dreharbeiten zu Christine sind in ihrer Geburtsstadt Wien angesetzt. Da Mama des öfteren dem Studio fernbleibt, entgeht ihr, dass Delon sich in Romy verliebt und dass er sie bittet, mit ihm nach Paris zu kommen. Eine selige Tochter weiht Mama ein, begegnet stachligem Missfallen, das sich nach hysterischen Telefonaten auf einen nunmehr tobenden Daddy Blatzheim ausweitet. Sie hinterlässt tobende Mama und außer sich geratenen Blatzheim, fliegt nach Paris, wohnt mit Delon.

Ibid., Kapitel 5

Orelie: Um ihrer Mutter entgegen zu kommen, verlobt sie sich mit Alain Delon. Die beiden spielen in dem Film Christine, der Ende 1958 in die deutschen und französischen Kinos kommt. Über Delon lernt sie den Regisseur Luchino Visconti kennen. Er gibt ihr zusammen mit Alain Delon die Hauptrollen in der von dem der Spätrenaissance angehörigen Dramatiker John Ford geschriebenen Tragödie Schade, dass sie eine Hure war. Das Theaterstück hat 1961 in Paris Premiere und wird ein Publikumserfolg.Können Sie etwas von Romy Schneiders Probeaufnahmen berichten?

Hildegard Knef: Nach Wochen qualvoller Leseproben bequemt sich Visconti, seine Schauspieler auf die Bühne zu scheuchen. Er befiehlt Romy, einen – dem elisabethanischen Drama entsprechenden – Reifrock zu tragen. Romys erste reifrockumwedelten Schritte auf karzigem Bühnenboden gleichen dennoch der Leichtfüßigkeit eines Nashorns. Was immer man über das aristokratische Genie Visconti zu sagen vermag: seine verbissene Form, ein Theaterstück gleich einem Hörspiel auf die Bühne zu bringen, trägt keineswegs dazu bei, der angstgeschüttelten Romy ein Mindestmaß an Darstellungsfreude zu vermitteln. Romys Sternstunde fällt auf den Abend des zweiundsechzigsten Arbeitstages: Visconti befiehlt am Ende der Probe, ein zum Stück gehöriges kompliziertes Lied zu singen. Versteinert steht sie, beginnt, kaum verständlich und mit piepsig-zittriger Stimme die erste Strophe zu flüstern. Zwischen wüsten Beschimpfungen lässt er sie über zwanzigmal die gleiche Strophe herunterhaspeln, bis sie tranceähnlich in ihre Rolle sinkend das Lied laut und fehlerlos singt. Sie vergisst Regisseur, Theater, Partner, ist nur mehr das darzustellende Mädchen >Annabella<.

Ibid., Kapitel 6

Orelie: Völlig unerwartet erfährt Romy Schneider von Alain Delons Beziehung zu seiner späteren Frau Nathalie Delon. Was haben Sie davon mitbekommen?

Hildegard Knef: Erste Fotos von Alain mit einer triumphierend grinsenden Nathalie auf seinem Schoß erreichen Romy. Vorläufig misst sie der Liaison die übliche Unbedeutung bei. Nathalie hatte sämtliche Geschütze aufgefahren, um das unumstrittene Idol sämtlicher filmfanatischer Frauen einzufangen. Romy sieht sich als Versagerin, und wenn jenes, Versagen vor aller Welt geschieht, vor den >Wir-haben-es-gewusst<, >Wir-haben-dich-gewarnt< Tröstern, wird es zur dauerhaften Inquisition. Sie beginnt, in der Sackgasse privater und beruflicher Ausweglosigkeit umherzuirren, erreicht den Tiefpunkt, als Alain Delon die nunmehr hochschwangere Nathalie ehelicht.

Ibid., Kapitel 8

Orelie: Kommen wir auf Romy Schneiders Heirat mit dem Regisseur und Schauspieler Harry Meyen zu sprechen und die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes David.

Hildegard Knef: Harry hat seine >große Liebe< gefunden. Anneliese Römer verzeiht vorwurfslos. Einen Tag nach Harrys Scheidung heiraten sie in Cap Ferrat. Romy ist im vierten Monat. Das ausgebeutet-überforderte Kind Romy Schneider wird Mutter eines Sohnes: David. Zwölf Monate lang lebte sie ein bedingungslos bilderbuch-bürgerliches Dasein in Berlin: Füttern, Baden, Spielen, Kinderwagen schieben, mit Harry durch den Grunewald laufen, frühzeitig vorm Fernseher mit Würstchen und Kartoffelsalat, nach Sendeschluss: Bett. Romy und Harry wähnten sich rundum glücklich. Sie verbringt zwei Jahre in Berlin in der ungewohnten Rolle als Mutter und Gemahlin des nunmehr arbeitslosen Harry. Romy lehnt jedwede Interviews als auch berufliche Pläne ab.

Ibid., Kapitel 9, 10, 11, 10

Orelie: Aber bald darauf widmet sich Romy Schneider wieder ihrer Schauspielkunst. In dem Film La piscine hat sie Alain Delon als Partner. Ihr Mann tut sich schwer, weil es ihm in Frankreich nicht gelingt, seinem Beruf als Regisseur nachzukommen. Wie gestaltet sich ihr Leben mit ihrem Sohn David?

Hildegard Knef: David – ein blonder hübscher Junge. Die Berliner Turteltaubenzeit war beerdigt. Sie sahen ihn nur selten. Eine Kinderschwester führte den Jungen morgens aus, ging mit ihm schwimmen, aß mit ihm, las Geschichten vor. Zwischen Schlaf und abendlichen Verabredungen sprachen die Eltern mit ihrem einst ständig umhegten Knaben.

Ibid., Kapitel 11

Orelie: Die bald allein lebende Romy Schneider zeigt sich kurz darauf mit dem Journalisten Daniel Biasini in der Öffentlichkeit und er wird ihr Sekretär. Die Scheidung von Harry Meyen findet im Juni 1975 statt und im Dezember desselben Jahres heiratet sie Biasini. 1977 wird ihre gemeinsame Tochter Sarah geboren. Wie kommt ihr Sohn David mit der Tatsache zurecht, sich zwischen seinem Vater Harry Meyen und Daniel Biasini zurecht finden zu müssen?

Hildegard Knef: Harry, zum hoffnungslosen Alkoholiker geworden, ist nicht nur bedingt arbeitsfähig, sondern auch depressiv geworden. Die Begegnung mit seinem Sohn wird zum Debakel. Vergleiche zwischen dem spielfreudigen Biasini und dem verschlossen-melancholischen Vater liegen auf der
Hand.

Ibid., Kapitel 12

Orelie: Harry Meyen begeht am 15. April 1979 Selbstmord. Romy Schneider erhält weiterhin zahlreiche Filmangebote und außerdem zwei Césars, die dem amerikanischen Oscar entsprechen. Sie sieht häufig ihren Sohn David, der oftmals bei Daniel Biasinis Eltern verweilt, die im Westen von Paris ein Haus besitzen. Am 3. Juli 1981 verunglückt David tödlich.

Hildegard Knef: David, schlüssellos vor dem Haus seiner Stiefgroßeltern stehend, klettert wie oftmals zuvor über das hausumgebende Gitter, um – mit dem Fuß abrutschend – in die eisernen Spieße zu stürzen. Seine gellenden Schreie alarmieren Nachbarn und Großeltern. Nie hört er auf, zu sprechen, auch während der rasenden Fahrt ins nahegelegene Krankenhaus von St. Germain-en-laye nicht. Seine Stimme erlischt mit der Narkose, aus der er nie mehr erwachen wird. Romy findet ihren Sohn nur noch tot. Kummervoll wenden sich Ärzte und Verwandte ab.

Ibid, Kapitel 13

Orelie: Romy Schneider stirbt am 28. Mai des darauffolgenden Jahres. Was wollen Sie, Frau Knef, abschließend sagen?

Hildegard Knef: Leise hatte Romy Schneider ein lautes Leben verlassen.

Ibid.

Orelie: Frau Hildegard Knef, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.