Orelie: Guten Tag, Herr Tennessee Williams. Wir wollen diesmal über Ihr Theaterstück A Streetcar Named Desire sprechen, das unter der Regie von Elia Kazan und mit Marlon Brando in der Rolle des Stanley Kowalsky auf die Bühne gebracht als auch verfilmt wurde. Wie haben Sie Kazan und Brando in Erinnerung behalten?
Tennessee Williams: Kazan war einer von jenen seltenen Regisseuren, die den Autor bei allen Proben dabeihaben wollen, selbst bei den sogenannten Stellproben. Hin und wieder rief er mich auf die Bühne, damit ich ihm vormachte, wie meiner Meinung nach eine bestimmte kleine Szene gespielt werden sollte. Ich nehme an, dass er das nur tat, um mir zu schmeicheln, denn er verriet, sobald er erst einmal mit einer Arbeit begonnen hatte, nie auch nur die leiseste Unsicherheit. Der Stanley Kowalski war die erste bedeutende Rolle, die Marlon Brando auf der Bühne gespielt hat, alles andere waren Filmrollen gewesen. Ich fand das bedauerlich, da Brando auf der Bühne ein Charisma entfaltete, das in seiner Leuchtkraft dem von Laurette Taylor ebenbürtig war.
Tennessee Williams, Memoiren, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, September 1979, S.173-174 und S.169-170
Orelie: Laurette Taylor spielte die Mutter in Ihrem Theaterstück Die Glasmenagerie, mit dem Ihr Erfolg begann. Nach der ersten Aufführung von Endstation Sehnsucht in New Haven kam es zu einer Einladung aller Teilnehmer bei Thornton Wilder. Wie verlief die Zusammenkunft?
Tennessee Williams: Nach der Premiere von Endstation Sehnsucht in New Haven, Anfang November 1947, schien niemand genau zu wissen oder sich auch nur darum zu kümmern, was die Kritik nun eigentlich dazu meinte. Nach der Premiere hatte Mr. Thornton Wilder, der in New Haven ansässig war, uns alle in seine Wohnung eingeladen. Es war wie eine Audienz beim Papst. Wir saßen um den konventionellen, würdigen Herrn herum, während er das Stück heruntermachte, als erließe er eine päpstliche Bulle. Er sagte, das Opus beruhe auf einem unglücklichen Missverständnis. Eine Frau, die einmal eine „Dame” gewesen sei, womit er Stella meinte, könne niemals einen solchen Proleten wie Stanley heiraten.
Memoiren, S.174-175
Orelie: Doch ist Stella, die ihre Südstaatenfamilie und deren Besitz Belle Rêve verlassen hat, um nach New Orleans zu gehen, wo sie den aus Polen kommenden und in einer Fabrik arbeitenden Stanley Kowalski geheiratet hat, in ihrer Ehe glücklich. Zwar vergleicht ihre Schwester Blanche, die zu Besuch kommt, Stanleys Benehmen mit dem eines Tiers. Aber auf die starken Gefühle, die Stella und ihren Mann verbinden, kann Blanche keinen Einfluss nehmen. Können Sie einen kurzen Ausschnitt aus einer Szene wiedergeben, in dem das deutlich wird?
Tennessee Williams: Stanley trinkt aus der Bierflasche. Stella geht langsam an Blanche vorbei auf Stanley zu. Dann ist sie mit einem kleinen, raschen Lauf in seinen Armen. Stanley, als Stella sich mit solchem Ungestüm ihm entgegenwirft – vor Blanches Augen „He!!” Er wirft sie mit der Kraft seines Körpers hoch. Licht aus!
Tennessee Williams, Endstation Sehnsucht, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, August 2011, S.71
Orelie: Dagegen belügt Blanche sich selbst und bleibt in ihrem Verhalten zwiespältig. Aber in ihrem Herzen ist sie verzweifelt. Habe ich hierin recht?
Tennessee Williams: Fast alle ihre in tiefster Verzweiflung an die Welt gerichteten, flehentlichen Bitten um Hilfe haben überlebt, weil sie aus einem zerquälten, gepeinigten Herzen drangen. Das verlieh ihren Worten den Klang der Wahrheit, der diese Worte am Leben hielt und der in den Herzen so vieler bekannter und unbekannter Frauen nachklingt.
Memoiren, S.290
Orelie: Blanche wird am Ende Ihres Stückes in eine Klinik eingeliefert. Können Sie die entscheidende Stelle zwischen ihr und dem sie abholenden Arzt zitieren?
Tennessee Williams: Der Arzt hilft Blanche auf. Er nimmt seinen Hut ab. Blanche blickt ihn an, erst zweifelnd, dann lächelt sie ihm zu wie einem neuen Anbeter. Dann gibt sie dem Arzt ein strahlendes Lächeln. Blanche setzt sich die Kapuze auf und lächelt den Arzt an Wer sie auch sind, – ich habe mich immer auf die Güte von Fremden verlassen!
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Endstation Sehnsucht, S.150
Orelie: Dieser von Blanche gesprochene entscheidende Satz kam Ihnen in Cape Cod in den Sinn. Können Sie davon berichten?
Tennessee Williams: Ich arbeitete weiter an Endstation Sehnsucht, und dort, in jenem Bungalow, fiel mir der Satz ein, den Blanche vor ihrem letzten Abgang sagt und der später sozusagen historisch geworden ist: „Ich habe mich immer auf die Güte von Fremden verlassen.”
Memoiren, S.168
Orelie: Nach den Aufführungen in Boston und Philadelphia wurden die Kritiken positiver. Wann waren Sie sich sicher, dass Ihnen mit diesem Theaterstück der Durchbruch gelungen war?
Tennessee Williams: Die New Yorker Premiere war ein Bombenerfolg. Ich wurde nach der Vorstellung wie bei Glasmenagerie auf die Bühne geholt, um mich zu verbeugen, und stand genauso linkisch und verlegen herum wie damals. Ich fürchte, ich habe mich dann vor den Schauspielern verbeugt statt vor dem Publikum.
Memoiren, S.176