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Interview: Simone de Beauvoir~Jean-Paul Sartre – Feminismus

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Orelie: Guten Tag, Frau Simone de Beauvoir und Herr Jean-Paul Sartre. Ich begrüße Sie herzlich zu diesem Gespräch, das wir dem Feminismus widmen wollen und der Frage, wie es im Jahr 1975 um ihn stand. Sie, Frau de Beauvoir haben in Ihrem Buch Das andere Geschlecht ausführlich über die Gleichwertigkeit zwischen Frau und Mann geschrieben. Was können Sie zu dieser sagen?

Simone de Beauvoir: Es gibt viele Frauen, die sich ihrer Unterdrückung gar nicht bewusst sind, die es ganz natürlich finden, dass sie allein die gesamte Hausarbeit tun und dass auf ihnen fast die ganze Sorge für die Kinder lastet. Es ist das Problem, das sich den Frauen von der Frauenbewegung stellt, wenn sie zum Beispiel mit Arbeiterinnen zu tun haben, die einerseits in der Fabrik, in der sie arbeiten, und andererseits zu Hause von ihren Männern ausgebeutet werden.

Simone de Beauvoir, in: Jean Paul Sartre, Sartre über Sartre. Autobiographische Schriften, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 1985, S.173

Orelie: Was die Arbeiterfrau betrifft, sehen Sie beide hierbei eher ein Problem ihrer Klasse oder ihres Geschlechts?

Jean-Paul Sartre: Der Hauptkonflikt ist der des Kampfes der Geschlechter und der kleinere der des Klassenkampfes. Je mehr die Frau einer doppelten Unterdrückung ausgesetzt ist, um so mehr Priorität hat der Kampf der Geschlechter.

Sartre über Sartre, S.174

Simone de Beauvoir: Aber ich erinnere mich, als Frauen von der Frauenbewegung und Arbeiterfrauen anwesend waren, und wir auf die Unterdrückung zu sprechen kamen, der sie durch ihre Männer ausgeliefert waren, sie uns sehr deutlich sagten, dass sie sich ihren Männern, den Arbeitern, sehr viel näher fühlten als bürgerlichen Frauen.

Sartre über Sartre, S.174

Orelie: Was sollte von daher gesehen für die Emanzipation der Arbeiterfrauen getan werden?

Simone de Beauvoir: Man sieht eine gewisse Verbindung zwischen dem Klassenkampf und dem Kampf der Geschlechter, sobald die Frauen sich zu Bewegungen zusammentun, um berufliche Forderungen zu stellen. Vor zwei oder drei Jahren gab es in Troyes einen Streik. Die Arbeiterinnen, die den Streik anführten, erklärten den Vertreterinnen der Frauenbewegung, die sie befragten, spontan und temperamentvoll: „Jetzt, wo wir begriffen haben, wie man sich auflehnt, werden wir uns auch zu Hause nicht mehr auf die Füße treten lassen! Das gibt’s jetzt nicht mehr, dass unsere Männer den kleinen Chef spielen!”

Sartre über Sartre, S.175

Orelie: Kommen wir nun auf Ihre persönliche Beziehung zu Sartre zu sprechen. Da er anwesend ist, haben Sie die Gelegenheit, ihn direkt anzusprechen. Ich bitte Sie, dieses zu tun.

Simone de Beauvoir: Ich muss sagen, dass Sie mich nie unterdrückt und mir gegenüber nie eine Überlegenheit herausgekehrt haben. Wenn wir Ihren Machismus nuancieren, ist es wichtig, in Betracht zu ziehen, dass es zwischen uns niemals Inferioritäts- und Superioritätsbeziehungen gegeben hat, wie sie zwischen Mann und Frau so häufig sind.

Sartre über Sartre, S.170

Orelie: Herr Sartre, was wollen Sie hierauf sagen?

Jean-Paul Sartre: Ich war es schließlich, der die Beziehungen auf die eine oder andere Ebene hob, vorausgesetzt natürlich, dass die Frau einverstanden war. Aber ich war derjenige, der die Fühler ausstreckte. Und ich hielt den Machismus nicht für etwas, was ursächlich mit meiner Rolle als Mann zusammenhing. Ich hielt ihn für ein besonderes Charakteristikum meiner Person.

Sartre über Sartre, S.169

Orelie: Ihr Machismus war also ein Ausdruck Ihres individuellen Charakters und kein Standpunkt. Und wie beurteilen Sie Ihre Beziehung zu Simone de Beauvoir?

Jean-Paul Sartre: Gerade in unserer Beziehung habe ich die Erfahrung gemacht und erkannt, dass es Beziehungen zwischen Mann und Frau gibt, die auf die letztlich bestehende Gleichheit beider Geschlechter hinweisen. Wir waren ebenbürtig. Es ist seltsam, aber ich glaube, dass dies meinen Machismus in gewisser Weise verstärkt hat, weil es mir erlaubte, anderen Frauen machistisch zu begegnen. Indessen erschien mir die Gleichwertigkeit zwischen uns nicht nur als faktische Gleichwertigkeit zweier Individuen, sondern sie schien mir die letztlich bestehende Gleichwertigkeit beider Geschlechter zu offenbaren.

Sartre über Sartre, S.170

Orelie: Ich danke Ihnen beiden für dieses Gespräch.