Orelie: Guten Tag Herr Charles Bukowski, ich begrüße Sie ganz herzlich zu diesem Gespräch. In Ihre Romane und zahlreichen Stories haben Sie auch viel aus Ihrem eigenen Leben hineingepackt, und in diesem haben Sie einiges durchgemacht. Sie waren der Grausamkeit ihres Vaters, der Schufterei bei der Arbeit, dem Schmutz und dem Hunger ausgesetzt. Was können Sie hierzu selber sagen?
Charles Bukowski: Ich lebte in Gesellschaft von Ratten und Mäusen und Weinflaschen, und mein Blut pappte an den Wänden einer Welt, die ich nicht begreifen konnte und bis heute nicht begreife. Ich wollte nicht so leben wie die; lieber wollte ich verhungern. Ich kniff aus, verkroch mich in mich selber, versteckte mich. Ich machte die Jalousien dicht und starrte an die Decke. Wenn ich mal ausging, dann in eine Bar, wo ich Drinks schnorrte, kleine Botengänge erledigte und in einer Seitenstraße Prügel bezog von gutgenährten Männern in sicheren Positionen, von trüben Tassen, die ein bequemes Leben führten. Naja, ein paar Fights gewann ich auch; aber nur, weil ich verrückt war. Ich kriegte jahrelang keine Frau, ich lebte von Erdnussbutter und altbackenem Brot und Pellkartoffeln. Ich war der arme Irre, der blöde Hund, der Idiot. Ich wollte schreiben, aber die Schreibmaschine war ständig im Pfandhaus.
Charles Bukowski, Die Wahrheit über den Tod von Dylan Thomas, aus: Das ausbruchsichere Paradies, in: Stories und Romane, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main, Mai 1977, S.157
Orelie: Wann hat das alles begonnen?
Charles Bukowski: So ist es von Anfang an gewesen. Ich wehrte mich gegen meine Eltern, dann gegen die Schule, und dann wehrte ich mich dagegen, ein ordentlicher Bürger zu werden. Egal, was ich in mir habe, es war von Anfang an da.
Charles Bukowski, Den Göttern kommt das große Kotzen, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln, 2012, S.27
Orelie: Sie begannen damit, zur Flasche zu greifen. Warum war der Alkohol so wichtig für Sie?
Charles Bukowski: Ich war so zwischen 20 und 30, und obwohl ich schwer trank und nichts aß, war ich doch immer noch gut beieinander. Körperlich, meine ich, und das ist schon eine Portion Glück, wenn man sonst nicht viel zu lachen hat. Mein Hirn rebellierte gegen mein Schicksal und mein Leben, und das einzige, womit ich es besänftigen konnte, war trinken und trinken und trinken.
Das ausbruchsichere Paradies, S.52
Orelie: Wollen Sie über eine Ihrer Empfindungen sprechen, die Sie in einer Bar überkam?
Charles Bukowski: Ich saß in einer Bar an der Western Avenue. Es war gegen Mitternacht, und ich befand mich in meinem üblichen Zustand der Konfusion. Ich meine, wenn sich alles gegen einen verschworen hat: Frauen, Jobs, keine Jobs, das Wetter, die Hunde. Am Ende ist man einfach irgendwie am Boden zerstört und hockt da und wartet, als würde man an der Bushaltestelle auf der Bank sitzen und auf den Tod warten.
Das ausbruchsichere Paradies, S.33-34
Orelie: Auch von Pferdewetten wurden Sie abhängig. Aber obwohl Sie jetzt genug Geld haben, wetten Sie immer noch jeden Tag. Warum?
Charles Bukowski: Ich nehme an, es wird immer etwas geben, womit wir uns unbedingt quälen wollen. Auf der Rennbahn erlebst du den Mitmenschen, wie er eine dunkle Verzweiflung verströmt und wie leicht er alles hinschmeißt und aufgibt. Das Rennbahn-Publikum ist die Welt im Kleinformat; das Leben, wie es sich verschleißt im Kampf gegen das Verlieren und den Tod. Keiner gewinnt. Wir erleben nur einen Aufschub, eine Atempause im Schatten.
Den Göttern kommt das große Kotzen, S.7
Orelie: Wie sah es mit Frauen aus, denn aus Ihren Erzählungen geht hervor, dass Sie oft stürmische Erfahrungen gemacht haben.
Charles Bukowski: Bei Frauen war es so, dass sich mit jeder neuen die Hoffnung wieder regte, aber das war schnell vorbei. Ich gewöhnte mir beizeiten ab, nach der Traumfrau zu suchen. Ich wollte nur eine, die kein Albtraum war.
Den Göttern kommt das große Kotzen, S.145
Orelie: Die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Frau Linda ist friedvoll. Wollen Sie selber etwas darüber mitteilen?
Charles Bukowski: Linda ist ausgegangen. Sie braucht Abwechslung; Leute, mit denen sie sich unterhalten kann. Nichts dagegen; nur trinkt sie gerne was, und anschließend muss sie noch nach Hause fahren. Ich leiste ihr keine gute Gesellschaft, und Unterhaltungen sind nicht mein Ding. Ich will keinen Austausch von Ideen und schon gar nicht von Gefühlen. Ich bin ein Steinquader und mir selbst genug; und als solcher will ich meine Ruhe. Ich bin so schlau gewesen, die Isolation zu wählen. Besucher sind hier selten. Meine neun Katzen stieben in wilder Flucht auseinander, sobald ein Mensch sich blicken lässt. Sogar meine Frau wird mir immer ähnlicher. Was ich eigentlich gar nicht möchte. Für mich ist es normal. Aber für Linda? Nein.
Den Göttern kommt das große Kotzen, S.27 und S.116
Orelie: Herr Bukowski, Sie mussten lange warten bis Sie mit Ihrem Schreiben Erfolg hatten. Wie sehen Sie das im nachhinein?
Charles Bukowski: Warum musste ich einundfünfzig werden, eh ich das Geld für die Miete mit der Schreibmaschine verdienen konnte? Ich meine, wenn ich recht habe und meine Schreibe sich nicht verändert hat, warum diese Durststrecke? Musste ich warten, bis die Welt mit mir Schritt halten kann? Und falls sie es getan hat, wo steh ich jetzt? In den Nesseln, würde ich sagen. Ich hatte Glück, aber ich glaube nicht, dass es mich überheblich gemacht hat. Ist ein eingebildeter Fatzke sich je bewusst, dass er einer ist?
Den Göttern kommt das große Kotzen, S.19
Orelie: Was hält Sie am Schreiben?
Charles Bukowski: Wenn einer ein echtes Verlangen danach hat, dann schreibt er auch. Ablehnung und höhnische Kommentare machen ihn nur stärker. Wie Wassermassen, die gegen einen Damm drücken. Wer schreibt, kann nicht verlieren. Noch im Schlaf kitzelt es die Zehen zum Lachen. Du kriegst einen Gang wie ein Tiger. Deine Augen funkeln. Du siehst dem Tod ins Gesicht. Du wirst als Krieger sterben, und in der Hölle werden sie dich ehren. Dass du Glück hast mit den Wörtern: Darin musst du aufgehen, das musst du ausstrahlen. Sei der Clown in der Finsternis. Es ist lustig und macht Spaß. Noch eine Zeile.
Den Göttern kommt das große Kotzen, S.32
Orelie: Sie haben geschrieben, dass der Computer Ihnen die Arbeit stark erleichtert hat. Auf welche Weise hat er das getan?
Charles Bukowski: Seit ich ihn habe, ist mein Ausstoß doppelt so stark, inhaltlich wie mengenmäßig. Er ist ein magisches Gerät. Mit einer Schreibmaschine ist es, als würde man durch Schlamm stapfen. Ein Computer, das ist Eisschnellauf. Eine gleißende Explosion. Natürlich, wenn man nichts in sich hat, ist es egal, auf was man schreibt.
Den Göttern kommt das große Kotzen, S.45