Ambroise Vollard
Orelie: Guten Tag, Herr Ambroise Vollard. Wir haben uns vorgenommen, in unserem Gespräch über die enormen Schwierigkeiten zu sprechen, denen die Impressionisten begegneten, um sich in der herrschenden Kunstszene behaupten zu können. Ihre Kunst wurde von den Akademien nicht anerkannt. Ihre Werke verkauften sich nicht, und wenn es vorkam, dass eines verkauft wurde, dann geschah das nur zu einem Spottpreis. Ihre beim Salon in Paris eingereichten Bilder wurden von der Jury abgelehnt und so organisierten sie ihren eigenen Salon des refusés. Doch lösten ihre dort ausgestellten Werke beim Publikum lautes Gelächter aus oder erregten wilden Zorn. Sie, Herr Vollard sind ein Freund der Impressionisten und arbeiteten in Paris in der Galerie L’Union Artistique. Alphonse Dumas, der Direktor der Galerie fragte Sie eines Tags, was Sie tun würden, wenn Sie Geld hätten, das Sie in Kunstwerken anlegen könnten. Was gaben Sie ihm zur Antwort und welche bittere Erfahrung mussten Sie machen?
Ambroise Vollard: Ich an Ihrer Stelle wüsste sehr genau, was ich täte. Für dreihunderttausend Francs würde ich Bilder von Renoir, Cézanne, Degas und so weiter kaufen, kurz, alle großen Impressionisten. Am nächsten Morgen kam mir Dumas etwas sonderbar vor. „Meine Frau, der ich Ihre Absicht erzählte, konnte vor Aufregung nicht schlafen. Dein Vollard macht mir Angst. Ich weiß, dass du ein ernsthafter Mann bist, außerstande, das Brot deiner Kinder zu vergeuden. Aber ich kann nicht mehr ruhig leben, wenn ich einen Menschen mit solchen Ansichten an deiner Seite weiß. Abgesehen davon kannst du dir vorstellen, was für ein schlechtes Renommée er deiner Union Artistique einbringt, wenn er solche Ungeheuerlichkeiten vor unsern Kunden auch nur andeutet.”
Ambroise Vollard, Erinnerungen eines Kunsthändlers, Diogenes Verlag, Zürich, 1980, S.47
Orelie: Deshalb verlangte Alphonse Dumas von Ihnen, in seiner Gegenwart und in der Galerie das Wort „Impressionismus” nicht mehr auszusprechen. Sie kündigten daraufhin Ihre Stelle. Das war im Jahr 1893. Sie mieteten in der Rue Laffitte, der sogenannten Künstlerstraße, einen kleinen Laden. Bekannte Kunsthandlungen wie Durand-Ruel oder Goupil befanden sich in dieser Straße. Aber es war schwer für Sie, dort als Kunsthändler Fuß zu fassen. Doch haben Sie ihren Entschluss, die Union Artistique zu verlassen, nicht bereut. Sie wussten schon damals, was Meisterwerke sind, auch wenn diese sich nicht verkauften.
Ambroise Vollard: Überall Meisterwerke und fast umsonst. Für Manets außergewöhnliches Porträt des Astruc wurden tausend Francs gefordert; das erschien damals ungeheuerlich. Ich entsinne mich, dass kaum zwei oder drei Jahre später im Hôtel Drouot die Frau auf dem Kanapee mühsam auf eintausendfünfhundert Francs hochgetrieben wurde. In meinem sechsten Stock in der Rue des Apennins hatte ich einen bemerkenswerten Akt von Renoir, für den ich zweihundert Francs verlangte, ohne dass man auch nur geruhte, ihn anzusehen. Als ich meinen kleinen Laden in der Rue Laffitte besaß, waren die Bilder von Renoir noch kaum gestiegen, und ich wagte nur schüchtern, vierhundert Francs zu verlangen. Von Cézanne will ich gar nicht reden. Die größeren seiner Bilder kaufte man um 1890 beim Père Tanguy für hundert Francs, die kleineren für vierzig. ”
Ambroise Vollard, Ibid., S.28-29
Orelie: Auguste Renoir und Paul Cézanne waren in jenen Jahren schon an die 50 Jahre alt. Und Camille Pissarro, von dem Cézanne sagte, dass er ohne ihn nie ein bedeutender Maler geworden wäre, kam von der Insel Saint Thomas, um in Frankreich seiner Kunst nachzugehen. Was können Sie über ihn sagen?
Ambroise Vollard: Bei Pissarro fiel einem vor allem sein gütiges, feines und gleichzeitig heiteres Wesen auf, eine Heiterkeit, die der fröhlich getanen Arbeit entsprang. Seine Familie war zahlreich. Madame Pissarro machte sich tapfer daran, ein Stück Land um das Haus herum zu bearbeiten, und verwandelte es in ein Kartoffelfeld. Wer würde glauben, dass diese Landschaften, die den Duft der Wiesen atmen, diese ruhigen Bäuerinnen, die sich über ihren Kohl beugen, diese Gänsemädchen in einer Zeit größter Schwierigkeiten für den Künstler gemalt sind? Oft kehrte Pissarro bei mir ein, wenn er von Durand-Ruel kam. Mit welcher Großzügigkeit beurteilte dieser Greis seine jungen Kollegen. Er interessierte sich für alle Forschungen, die damals die Maler begeisterten, so neugierig war er auf alle Kunstäußerungen.
Ambroise Vollard, Ibid., S.165-166
Orelie: In einem Brief an seinen Sohn Lucien schreibt Camille Pissarro, was der Impressionismus in seinen Augen sein sollte. Ich zitiere Ihnen aus diesem Brief:
„In Wirklichkeit sollte der Impressionismus nichts sein als eine reine Theorie der Beobachtung, ohne dabei an Phantasie zu verlieren, an Freiheit oder Größe, kurz an alldem, wodurch eine Kunst groß ist. Aber keine Marktschreierei, dass es den empfindsamen Leuten den Atem verschlägt.”
Camille Pissarro, Briefe, Verlag Rogner & Bernhard, München, 1970, S.16-17
Orelie: Im November 1895 machten Sie, Herr Vollard, in Ihrem Laden in der rue Laffitte Ihre erste Cézanne Ausstellung, die beim Publikum und den Kunstkennern auf vollkommenes Missverständnis stieß. Allerdings kam auch ein von Cézannes Bildern begeisterter Besucher, von dem wir nun sprechen wollen.
Ambroise Vollard: Am ersten Tag meiner Cézanne-Ausstellung trat ein ziemlich dicker, bärtiger Mann ein, der wie ein Gentleman-Farmer aussah. Ohne mit mir zu handeln, kaufte er zwei Bilder, und ich glaubte, es mit irgendeinem Sammler aus der Provinz zu tun zu haben. Es war Claude Monet. Ich sah ihn später wieder, wenn er bei seinen Reisen durch Paris kam. Bei einem so berühmten Mann fiel seine große Einfachheit und die glühende Bewunderung auf, die er Cézanne zollte, seinem alten Kameraden aus der Zeit des Kampfes um den Impressionismus, der noch immer verkannt wurde. Übrigens erstreckte sich das Unverständnis des damaligen Publikums selbst auf die allgemein bekannten Maler, auf Monet ganz besonders.”
Ambroise Vollard, Ibid., S.164
Orelie: Auguste Renoir malte mehrere Porträts von Ihnen. Im hohen Alter wohnte er in Cagnes, in der Nähe von Nizza. Er litt an Rheumatismus und war fast ganz gelähmt. Dennoch schaffte er es, zu malen. Der Pinsel wurde ihm zwischen seinen Fingern befestigt. Wollen Sie zum Abschluss unseres Gesprächs noch ein gemeinsames Erlebnis mit ihm schildern?
Ambroise Vollard: An einem 14. Juli in Cagnes malte er an meinem Bild, als auf der Straße ein Trupp Leute vorüber zog, die aus vollem Halse sangen: Liberté, Liberté chérie, Combat avec tes défenseurs. Renoir machte eine ärgerliche Bewegung: „Haben Sie das gehört? Wenn Sie wüssten, Vollard, wie die Leute die Freiheit, die sie dauernd im Munde führen, im Grunde verabscheuen. Ich habe einmal jemanden gefragt: „Was missfällt Ihnen eigentlich so sehr an meiner Malerei?” Wissen Sie, was er geantwortet hat? „Die Freiheit, mit der Sie malen”.
Ambroise Vollard, Ibid., S.238
Orelie: Herr Ambroise Vollard, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.